Der Frachtstau an den Grenzen des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, die erstmals notwendigen Zollanmeldungen beim britischen Zollabfertigungssystem für Import- und Exportfracht (CHIEF) und die Ankündigung mehrerer großer Spediteure, ihren Vertrieb vom europäischen Festland nach UK oder umgekehrt einzustellen – fast jeder von uns erinnert sich noch gut an die ersten Tage und Wochen des Brexit. Zeit für die Meinung eines Experten zu diesem Thema. Bei uns ist Ludo Verlinden, Global Business Development Manager Fulfillment bei Salesupply.
Ludo, was passiert momentan rund um den Brexit, wie schlimm ist es?
„Es gibt tatsächlich eine Menge besorgniserregender Nachrichten in Bezug auf die grenzüberschreitende Logistik und den Brexit. Dass der Brexit bevorsteht, war klar, aber wie und was das genau bedeutet, blieb lange Zeit ungewiss. Mittlerweile können wir sagen, dass es wirklich zu lange gedauert hat. Bereits im Dezember haben wir die ersten Anzeichen dafür gesehen, wie schlimm es wird, und seit Januar, als der Brexit offiziell wurde, wurde es noch schlimmer.
Es ist sogar so schlimm geworden, dass Beamte des britischen Ministeriums für internationalen Handel britischen Unternehmen, die Produkte in die EU exportieren, geraten haben, EU-Firmen zu gründen, um Cross Border-Probleme zu umgehen…“
Wo genau liegt das Problem?
„Für Händler liegt das Problem in Verzögerungen, zusätzlichen Kosten und unterschiedlichen Verfahren. Wir haben 4 zentrale Themen herausgefiltert, die die meisten Brexit-Kopfschmerzen verursachen:
1 Verwaltungsaufwand und Zoll verzögerungen
Seit dem Brexit sind sowohl Spediteure als auch Unternehmen verpflichtet, dem Zoll bestimmte Informationen bereitzustellen. Das Problem, das sich dabei ergibt, ist, dass die IT-Systeme dieser Spediteure und Unternehmen nicht immer darauf ausgerichtet sind, diese Informationen zu verarbeiten. Spediteure müssen für jedes Paket korrekte und entsprechende HS-Codes, das Herkunftsland, EORI- und MwSt.-Nummern vom Vereinigten Königreich sowie eine Handelsrechnung sowohl in Papierform als auch digital bereitstellen.“
Welche Daten müssen in einer Handelsrechnung enthalten sein?
„Bei einem Paket, das von Europa ins Vereinigte Königreich versandt wird, muss die Handelsrechnung Folgendes enthalten: Herkunftsland, HS-Codes, der vom Endverbraucher bezahlte Verkaufswert, Angaben zum Verkäufer, Namen und Adressdaten des Empfängers, GB-MwSt.- und GB-EORI-Nummer für DDP-Lieferungen.
Es ist zwar möglich, diese Daten zu bekommen, das Problem liegt jedoch bei den Systemen des Spediteurs, des Verkäufers oder von beiden. Wenn diese Daten nicht in die Systeme (WMS, TMS oder E-Commerce-Back-End) integriert sind, wird das Paket am Zoll zurückgehalten, was zu Verzögerungen und Unzufriedenheit bei den britischen Kunden führt.
2 UMSATZSTEUER
Unternehmen müssen seit dem Brexit 20% britische Verbraucher-Umsatzsteuer erheben (im Falle einer EU-UK-Lieferung) und sich für die britische Umsatzsteuer registrieren lassen, um eine lokale Umsatzsteuernummer zu erhalten, die für die vierteljährliche britische Umsatzsteuerverwaltung und -einreichung bei der HMRC im Vereinigten Königreich benötigt wird.
Wenn Bestellungen den Betrag von £135 überschreiten, wird es etwas komplizierter. Unterhalb dieses Betrages muss man die Umsatzsteuer periodisch bezahlen, oberhalb dieser Grenze muss man die anwendbaren Einfuhrzölle und die 20% britische Mehrwertsteuer jedoch vollständig vor der Lieferung des Pakets bezahlen.
Dafür benötigt man einen Spediteur, der diese Kosten für den Versand mit dem DDP (Delivered Duty Paid) Incoterm begleicht und vorfinanziert. Viele Spediteure bieten diesen Dienst aufgrund der erforderlichen Zollanzahlungen bei der HMRC jedoch nicht an.“
Können Spediteure, die diesen Dienst nicht anbieten, weiterhin tätig sein?
„Ja, das geht. Dies wird DAP genannt (früher auch bekannt als DDU), diese Arbeitsweise ist jedoch alles andere als ideal. Die Zusammenarbeit mit einem DAP-Spediteur bedeutet, dass der Endverbraucher die Umsatzsteuer bezahlen muss, bevor er seine Bestellung tatsächlich erhält. Das sind unerwartete Kosten für den Endverbraucher, die definitiv zu reichlich Unzufriedenheit führen werden.
Für Unternehmen bedeuten diese sogenannten DAP-Sendungen also, dass sie ihre Teams für den Kundendienst weiter ausbauen müssen, anspruchsvolle Kunden wird diese unangenehme finanzielle Überraschung nämlich nicht freuen.
Ich kenne sogar eine Online-Modemarke, die buchstäblich einen Vollzeitmitarbeiter eingestellt hat, um die aufgegebenen Bestellungen zu kontrollieren und manuell alle UK-Bestellungen mit einem Wert von über £135 zu löschen.
3 Zusätzliche Kosten und Zuschläge
Der Brexit hat sicherlich dafür gesorgt, dass grenzüberschreitende Geschäfte teurer werden. Als wären die administrativen und steuerlichen Regeln allein nicht schon schwierig genug, erheben die Spediteure auch noch Zuschläge für den Versand nach und aus dem Vereinigten Königreich. Von der EU ins Vereinigte Königreich sind Zuschläge von 20,00 € normal und vom Vereinigten Königreich in die EU sind die zusätzlichen Kosten sogar noch höher. Exportbeamte der britischen Regierungen raten den Unternehmen deshalb mittlerweile, einen Teil ihrer Aktivitäten in die EU zu verlagern.
Die meisten Produkte, die im grenzüberschreitenden E-Commerce verkauft werden, werden außerhalb der EU produziert, was für britische Unternehmen, die Geschäfte mit der EU machen, einen absoluten Export-Albtraum darstellt. Wenn Unternehmen z.B. von Asien aus in ihr britisches Lager liefern und von dort aus ihr EU-Fulfillment umsetzen, müssen sie zweimal Importgebühren zahlen! Aus diesem Grund ändern viele britische Unternehmen ihre Strategie: Viele verschicken nun einen Teil ihrer Produktlieferung direkt aus Asien in ein EU-Lager und den anderen Teil in das Vereinigte Königreich.
4 Covid-19
Wir sollten nicht vergessen, dass der Brexit als historisches Ereignis zeitgleich mit einem anderen historischen Ereignisses stattfand, nämlich der COVID-19-Pandemie. Es ist sehr wichtig, sich dies bewusst zu machen, da die Spediteure derzeit Mengen abwickeln, die sie ursprünglich erst für 2025 erwartet haben – ohne dass sie ihre Belegschaft erweitern konnten, um dies zu bewältigen. Die Unternehmen arbeiten auch ohne die zusätzliche operative Arbeitsbelastung, die der Brexit mit sich bringt, schon auf Hochtouren.
Da viele Grenzen bereits geschlossen oder teilweise geschlossen sind, werden die Wartezeiten am Zoll immer länger und sorgen für viel Frustration bei anspruchsvollen Online-Kunden.“
Was können grenzüberschreitend aktive Unternehmen bei all den Herausforderungen, die Sie gerade erwähnt haben, tun, um im Geschäft und für ihre Kunden attraktiv zu bleiben?
„Wenn man alle oben genannten Herausforderungen gelesen hat, scheint es tatsächlich das Ende des grenzüberschreitenden E-Commerce zu sein, so weit muss es jedoch nicht kommen. Wir haben zwei praktikable Lösungen herausgearbeitet:
1- Cross Border-Lieferung
Wenn Sie aus strategischen oder betrieblichen Gründen weiterhin grenzüberschreitend Pakete versenden müssen, dann stellen Sie sicher, dass Sie:
- Ihre Daten, Papiere und Systeme auf dem neuesten Stand halten und deren Konformität sicherstellen
- mit einem Spediteur mit einer guten Zollinfrastruktur zusammenarbeiten, der ebenfalls dafür sorgt
- sich vergewissern, dass Ihr Spediteur mittels DDP versenden kann, insbesondere bei Bestellungen über £135
- eine Partnerschaft mit einem Anbieter eingehen, der keine unangemessenen Gebühren und Zuschläge erhebt
Andernfalls wäre mein dringender Rat:
2 – Lokal arbeiten
Lagern Sie Ihr Fulfillment in das Vereinigte Königreich oder (für britische Unternehmen) in die EU aus. Dies kann im ersten Moment zwar wie ein größerer Aufwand erscheinen, das ist es jedoch heutzutage nicht mehr, da die meisten Systeme Plug-and-Play sind.
Die lokale Auslagerung Ihres Fulfillments bringt zwei große Vorteile mit sich:
- Lieferung am nächsten Tag, praktisch unmöglich, wenn Sie international versenden, aber äußerst wichtig, um im E-Commerce wettbewerbsfähig zu bleiben
- Geringere Liefergebühren, da Sie lokal versenden
- Für EU-Firmen würden diese für Lieferungen am nächsten Tag auf das britische Festland £4-4,50 betragen
- Für britische Unternehmen würden diese für Lieferungen am nächsten Tag auf die größten europäischen E-Commerce-Märkte 4-5 € betragen.“
Lassen Sie Ihre Kunden nicht warten und kontaktieren Sie uns noch heute!/